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Schizophrenie
Schizophrenie (schizophrene Psychose): Schizophrenien sind gekennzeichnet durch gravierende Störungen des Denkens, der Wahrnehmung und der Gefühlswelt. Der Bezug zum realen Leben ist stark gestört, während intellektuelle Fähigkeiten wie z. B. Merkfähigkeit oder räumliches Vorstellungsvermögen unbeeinträchtigt bleiben. Zentrale Symptome der Schizophrenie sind Wahnvorstellungen (Wahn) und Sinnestäuschungen (Halluzinationen). Trotz der Schwere der Erkrankung haben zwei von drei Patienten heute gute Chancen, ein stabiles und selbstbestimmtes Leben zu führen. Von der Schizophrenie ist etwa 1 % der Bevölkerung betroffen, die Erkrankungsquote ist weltweit nahezu konstant. Männer und Frauen erkranken gleich häufig. Das Alter der Ersterkrankung liegt typischerweise zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr, wobei Männer etwas früher erkranken als Frauen.
Leitbeschwerden
Positivbeschwerden. Treten in der akuten Phase der Erkrankung auf:
- Sinnestäuschungen: Typischerweise akustische Halluzinationen wie das Hören von Stimmen, die die Handlungen des Patienten kommentieren oder dem Patienten Aufträge erteilen.
- Gedankenentzug: Die Erkrankten glauben, dass ihre Gedanken, Absichten, Handlungen und Gefühle anderen bekannt sind und von diesen gesteuert werden.
- Wahnvorstellungen: Symptome wie Halluzinationen erkennt der Patient nicht als Teil seiner Erkrankung, sondern erlebt sie wirklich. Zur Erklärung des Erlebten baut der Patient einen Wahn auf. Die Erkrankten wissen häufig, dass sie Wahnvorstellungen haben und empfinden diese als extrem beängstigend und beschämend. Oft versuchen sie deshalb, die Wahnvorstellungen geheim zu halten.
- Denkstörungen: Eine Unterscheidung zwischen wichtig und unwichtig ist unmöglich, nebensächliche Details rücken in den Vordergrund. Das Denken wird sehr assoziativ, ein logischer „roter Faden“ ist nicht mehr erkennbar. In der Kommunikation sind die Erkrankten sprunghaft und wirr. Sie wechseln abrupt das Thema oder schweifen weit ab.
- Paradoxe Affektivität: Gefühle entsprechen nicht der Situation. Patienten sind heiter, wenn Trauer angebracht wäre. Oder sie weinen aus nichtigem Anlass.
- Verstärkte Aktivität: Die Patienten sind übererregt, rast- und ruhelos.
Negativbeschwerden. Treten meist erst nach der Akutphase der Erkrankung auf:
- Affektverflachung: Das Gefühlsleben der Patienten wirkt eigentümlich flach und undifferenziert.
- Antriebsminderung: Der Erkrankte fühlt sich leicht erschöpfbar und körperlich schwach.
- Bewegungslosigkeit: Der Patient wirkt wie erstarrt, manchmal verharrt er in grotesken Körperhaltungen.
- Ich-Versunkenheit: Der Patient kapselt sich von der Realität ab. Er lebt in einer eigenen Welt, ohne Anteil an seiner Umgebung zu nehmen.
- Sozialer Rückzug: Der Erkrankte ist anderen gegenüber misstrauisch – dies auch als Folge der Verunsicherung und der gespürten sozialen Ablehnung.
- Viele Schizophrene haben außerdem große Angst oder reagieren auf das veränderte Erleben mit depressiven Beschwerden.
Wann zum Arzt oder Psychotherapeuten
Sofort, wenn die Beschwerden erstmalig auftreten oder sich aber verstärken, der Kranke seine Medikamente wegen der Nebenwirkungen nicht mehr nehmen will oder Patienten sich selbst oder Dritte gefährden.
Schizophren Erkrankte gehören immer in die fachkundige Behandlung eines Psychiaters.
Die Erkrankung
Schizophrenie ist für viele Menschen das Sinnbild des „Verrücktseins“ oder „Wahnsinns“ schlechthin. Entsprechend groß sind Vorurteile und Berührungsängste im Umgang mit den Patienten. Entgegen der verbreiteten Meinung sind die Erkrankten jedoch nicht häufiger in Gewaltdelikte verwickelt als der Bevölkerungsdurchschnitt. Es handelt sich vielmehr um eher schüchterne, sehr sensible Menschen, die oft ein außerordentlich gutes Gespür für die Befindlichkeit anderer haben.
Nach allem, was man weiß, spielt bei Schizophrenie Vererbung eine zentrale Rolle. Kinder von schizophrenen Müttern oder Vätern haben ein 20-fach höheres Erkrankungsrisiko als der Bevölkerungsdurchschnitt. Bei eineiigen Zwillingen erkranken 50 % der Geschwister eines betroffenen Zwillings. Damit die Erkrankung akut ausbricht, müssen jedoch noch weitere belastende Faktoren wie familiäre oder zwischenmenschliche Probleme, Trennungen oder Verlusterfahrungen hinzukommen.
Die Erkrankung bricht meist im frühen Erwachsenenalter aus, Ersterkrankungen in späteren Lebensabschnitten sind selten. Die Störung kann akut mit einer schweren Symptomatik einsetzen, sie kann sich aber auch allmählich im Lauf mehrerer Jahre entwickeln. Nach Abklingen der Akutsymptome kann es zu einer postschizophrenen Depression kommen – diese ist mit einem besonders hohen Selbstmordrisiko verbunden. Sie geht dann über in eine symptomarme Phase, in der die Patienten anfangs sehr erschöpft sind, sich dann aber zum Teil bis zur Beschwerdefreiheit erholen und ihre alte Leistungsfähigkeit wiedererlangen können.
Verlauf. Folgende Faktoren beeinflussen den Verlauf der Schizophrenie günstig:
- Weibliches Geschlecht
- Stabile soziale Beziehungen
- Akute, abrupte Ersterkrankung (also kein schleichender Beginn)
- Gute soziale Anpassung (Schulabschluss, Berufsausbildung, Freundschaften) vor Beginn der Erkrankung
- Früh einsetzende und konsequent befolgte Therapie.
Das macht der Arzt oder Therapeut
Die Diagnose ergibt sich aus den Leitbeschwerden Wahn und Halluzinationen, dem sorgfältigen psychopathologischen Befund sowie – vor allem bei unklaren frühen Stadien – aus der Beobachtung des Kranken.
Die Behandlung Schizophrener erfordert Geduld, Erfahrung, Wissen und Engagement. Entscheidend für den Erfolg ist eine Kombination aus medikamentöser Therapie, psychotherapeutischen Verfahren und Soziotherapie, worunter die Unterstützung in der Lebens- und Alltagsbewältigung verstanden wird, damit der Kranke seine verschiedenen Rollen wieder ausfüllen kann, die er in Familie, Partnerschaft und am Arbeitsplatz einnimmt.
Psychopharmaka. Therapie der ersten Wahl sind immer Neuroleptika. Unter der neuroleptischen Medikation klingt die Akutsymptomatik binnen weniger Tage ab. Meist bedarf es aber einer stationären Behandlungszeit, bis Dosis und Wirkstoff genau eingestellt sind. Die durchschnittliche Verweildauer in der Akutstation der Psychiatrie beträgt heutzutage bei Schizophrenien etwa drei bis vier Wochen.
Zur Vorbeugung von Rückfällen und zur Stabilisierung des Patienten werden Neuroleptika auch nach dem Klinikaufenthalt meist über einen längeren Zeitraum verordnet. Der niedergelassene Psychiater kontrolliert Dosierung und Art der Medikamente sowie deren Nebenwirkungen. Wie lange die Medikamente eingenommen werden müssen, hängt vom individuellen Verlauf ab. Als Regel gilt: Wenn sich innerhalb eines Jahres keine neuerlichen Krankheitssymptome zeigen, kann der Patient versuchsweise die Medikamente reduzieren. Hierzu muss der Patient jedoch regelmäßig vom Psychiater gesehen werden, damit bei etwaigen Verschlechterungen sofort reagiert werden kann.
Psychotherapie. In der Klinik wird Psychoedukation angeboten, in der Patienten über die Erkrankung, ihre Behandlung, den Umgang mit Medikamenten und die Vorbeugung erneuter Schübe aufgeklärt werden. Angehörige sollten dabei unbedingt mit einbezogen werden. Expressive Verfahren wie z. B. Kunsttherapie stabilisieren die Patienten zusätzlich und unterstützen ihre gesunden, kreativen Seiten.
Im Anschluss an den Klinikaufenthalt hat sich eine ambulante Psychotherapie bewährt. Dabei lernen die Patienten, ihre soziale Kompetenz zu verbessern, Ängste zu bewältigen, mit Belastungen besser umzugehen (Stressmanagement) und – nicht zuletzt – die Folgen der Erkrankung verarbeiten zu können.
Prognose
Schizophrenie ist auch prognostisch eine sehr ernste Erkrankung:
- Mindestens ein Drittel der schizophrenen Patienten erholt sich weitgehend, bleibt sozial integriert, bei guten Bedingungen auch arbeitsfähig, muss jedoch mit Beeinträchtigungen leben.
- Bei einem weiteren Drittel der Patienten ist der Verlauf ungünstig, die Beschwerden verschlimmern sich und gehen in ein chronisches Stadium über: Eine Berufstätigkeit ist kaum noch möglich, und auch das familiäre Umfeld, falls es je bestanden hat, zerbricht oft an der Krankheit. Häufig kann auch kein Haushalt geführt werden, sodass die Langzeit-Heimunterbringung die einzige Alternative ist. Durch intensive Behandlung der Akutphase werden diese Fälle heute aber immer seltener.
- 10 % der von Schizophrenie Betroffenen begehen Selbstmord.
Selbsthilfe und Unterstützung durch Angehörige
Den richtigen Arzt finden. Ein stabiles, vertrauensvolles Verhältnis zum Arzt erleichtert die frühzeitige Krisenerkennung und Krisenvermeidung. Es ist nicht schlimm, den Psychiater ein- oder zweimal zu wechseln, es muss ein tatsächliches Vertrauensverhältnis gegeben sein. Aber dann sollte der Patient bei seinem Psychiater oder Psychotherapeuten bleiben, denn je besser er ihn kennt, desto besser kann er dem Betroffenen helfen und spüren, wann dieser mehr Hilfe und wann mehr Selbstständigkeit benötigt. Daneben gibt es noch andere Anlaufstellen, die Unterstützung anbieten: Selbsthilfegruppen, Treffpunkte und Veranstaltungen für Patienten und deren Angehörige. Informationen erteilen die Sozialpsychiatrischen Dienste, Gesundheitsämter und Krankenkassen. Kontakte kann aber auch der behandelnde Psychiater vermitteln.
Bei der Therapie dabeibleiben. Langzeituntersuchungen haben gezeigt, dass Patienten seltener Rückfälle erleiden, wenn sie nach einer Ersterkrankung weiterhin ihre Medikamente einnehmen. Zusätzliche Behandlungsmaßnahmen (Psychoedukation, Psychotherapie) reduzieren das Rückfallrisiko noch mehr. Für den Therapieerfolg ist es entscheidend, dass der Betroffene mit seinen Ärzten und den Angehörigen zusammenarbeitet und sich an ein vereinbartes Behandlungskonzept hält. Dazu gehört die regelmäßige Einnahme des verschriebenen Medikaments in der richtigen Dosierung und zum richtigen Zeitpunkt sowie das Wahrnehmen der Termine beim Arzt oder im Krankenhaus.
Erneuten Schizophrenieschub erkennen. Wieder zurück im Alltag sollten Erkrankte und auch Angehörige besonders aufmerksam auf Frühwarnsymptome achten, die einem neuen Krankheitsschub vorausgehen. Typische Frühwarnsymptome sind:
- Anhaltende Veränderungen der Stimmung, vor allem Auftreten von diffusen Ängsten
- Änderungen im Schlaf-Wach-Rhythmus
- Nachlassen oder Steigerung des Appetits
- Veränderungen im sozialen Kontaktverhalten, wie häufiges gekränktes und empfindliches Zurückziehen aus Gesprächen oder Beziehungen.
Krisenplan vorbereiten.Es empfiehlt sich für Betroffene und Angehörige, sich möglichst frühzeitig über Hilfe im Fall eines Rückfalls Gedanken zu machen und einen persönlichen „Krisenplan“ gemeinsam mit dem Arzt oder Therapeuten auszuarbeiten. Dies gilt auch für längere Reisen oder Kuraufenthalte.
Stressfaktoren dosieren. Die alltäglichen Belastungen sollten nur schrittweise wieder an den Erkrankten herangelassen werden und immer im richtigen Verhältnis zu dessen aktueller Verfassung stehen. Nur so lässt sich vermeiden, dass der Patient auf dem Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben überfordert wird.
Wissen über die Krankheit. Je besser der Patient über die Schizophrenie informiert ist und je genauer er weiß, was ihm guttut und was nicht, desto leichter kann er seinen Alltag so gestalten, dass trotz der Erkrankung ein Leben mit Lebensqualität möglich ist.
Weiterführende Informationen
- www.kompetenznetz-schizophrenie.de – Informative Internetseite des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kompetenznetzes Schizophrenie, Düsseldorf.
- www.openthedoors.de – Website des BASTA (Bündnis für psychisch erkrankte Menschen), München: Bietet Tipps, Informationen und ein Diskussionsforum.
- www.bapk.de – Website des Bundesverbands Psychisch Kranker (BApK), Bonn: Bietet wertvolles Informationsmaterial und Adressen von lokalen Selbsthilfegruppen.
- www.bpe-online.de – Website des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener e. V. (BPE), Bochum: Bietet u. a. Adressen von Selbsthilfegruppen.
- H. Häfner: Das Rätsel Schizophrenie. Eine Krankheit wird entschlüsselt. C.H. Beck, 2005. Informatives Buch zu allen Aspekten der Erkrankung; der Autor ist Arzt und Schizophrenieforscher.
- W. Kissling; G. Pitschel-Walz: Mit Schizophrenie leben. Informationen für Patienten und Angehörige. Schattauer, 2003. Informationen über Erkrankung und Therapie, Fragen der Lebensführung, Freizeitgestaltung, berufliche Eingliederung und finanzielle Hilfen.
- M. Kruse: Im Zwiespalt der Seele. Erfahrungen mit einer endogenen Psychose. Frieling, 2004. Der Autor schildert eindrucksvoll den Verlauf seiner Erkrankung und der Heilung.
27.02.2020 | Gisela Finke, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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